Enteignet und entrechtet???
Nicht jeder hat ein Recht, zu wissen, wer sein Erzeuger ist. Manchmal ist das vielleicht sogar besser so.
Jeder Mensch hat das Recht, zu wissen, woher er stammt. Das gilt für Adoptivkinder ebenso wie für Menschen, die von einem Samenspender abstammen oder in einer Babyklappe abgelegt wurden. So regelt es seit 2008 ein Gesetz, das die grassierenden heimlichen Vaterschaftstests eindämmen sollte. Grundsätzlich kann ein Gentest also klären, wer mit wem einmal folgenreich zusammen war – etwa um Unterhaltszahlungen zu regeln. Ansonsten gilt als Vater, wer zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist.
So weit, so schlicht. Was aber ist, wenn nur vermutet wird, wer der leibliche Vater sein könnte? Wenn schon viele Jahre ins Land gegangen sind und keine Alimente mehr fällig würden? Einen solchen Fall hatte kürzlich das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden. Es ging um eine 66-jährige Frau, die als Jugendliche von ihrer Mutter erfahren haben will, wer ihr eigentlicher Vater ist.
Ein anthropologisch-erbbiologisches Gutachten hielt die Vaterschaft Mitte der 50er Jahre zwar für nicht wahrscheinlich, doch die Frau lebte weiter mit der Ungewissheit, zumal sie den mutmaßlichen Vater in ihrer Jugend kennengelernt hatte. Ihre späteren Versuche, ihn zu einem Test zu überreden, schlugen fehl, der inzwischen greise Familienvater wollte mit dieser vermeintlichen Tochter nichts zu tun haben.
Zu Recht, wie das Verfassungsgericht urteilte. Denn das Recht auf Wissen, woher man stammt, sei abzuwägen mit anderen Grundrechten, zum Beispiel dem auf informationelle Selbstbestimmung. Und wenn der Vater keine Lust habe, im Nachhinein Gewissheit zu bekommen, sei das in Ordnung, zumal wenn er fürchte, die eigene Familie zu gefährden. Außerdem stehe es niemandem zu, die intimen Beziehungen zwischen zwei Menschen offenzulegen, wenn diese das Geheimnis wahren wollten. Sonst sei zu befürchten, so Gerichtspräsident Kirchhof, dass künftig alle möglichen Leute „ins Blaue hinein“ Männer zu Vaterschaftstests nötigten.
Es könnte sein, dass diese Rechtsmeinung bald Makulatur ist. Denn genötigt sieht sich mittlerweile der Gesetzgeber, das Abstammungsrecht zu reformieren. Wenn es einmal zur Normalität gehören sollte, dass Eier gespendet, Leihmütter tätig oder Embryonen adoptiert werden, geraten die Abstammungsverhältnisse nämlich völlig durcheinander. Obwohl zu einem erfüllten Leben nicht unbedingt das Wissen gehört, wer einen gezeugt hat. In manchen Fällen ist Unwissen sogar besser.
Quelle: https://www.freitag.de/autoren/ulrike-baureithel/wer-ist-mein-vater